Manchmal macht unser eigener Körper uns einen Strich durch die Rechnung. Eine plötzliche Lähmung, ein Zittern in den Beinen – weltweit leiden laut der WHO mehr als eine Milliarde Menschen unter einer neurologischen Krankheit. Ganz weit vorne: Schlaganfall, Parkinson und Epilepsie. Diese und weitere Krankheiten beeinträchtigen das Leben der Betroffenen nicht selten sehr stark und führen zu einer deutlichen Minderung der Lebensqualität.
Als Physiotherapeut spielen Sie bei der Behandlung dieser Erkrankungen eine wichtige Rolle. Doch wie können Sie Ihren Patienten am besten helfen? Welche Therapiemethoden sind am effektivsten? Um diese Fragen zu beantworten, ist es von großer Bedeutung, stets auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben.
In diesem Blogpost möchten wir Ihnen die neuesten Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit von Physiotherapie bei der Behandlung von neurologischen Erkrankungen vorstellen. Wir hoffen, dass Ihnen dieser Beitrag wertvolle Einblicke gibt und Ihnen dabei hilft, Ihre Patienten bestmöglich zu unterstützen.
Erfahren Sie hier:
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Wie entstehen neurologische Erkrankungen?
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Wie kann Physiotherapie helfen?
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Die neuesten Forschungsergebnisse
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Herausforderungen und Grenzen
1. Wie entstehen neurologische Erkrankungen?
Unser Gehirn ist das Steuerzentrum unseres Körpers. Es koordiniert unsere Bewegungen, Gedanken, Emotionen und Sinneswahrnehmungen. Doch manchmal kann es zu Störungen im System kommen.
Durch eine Vielzahl von Faktoren wie Genetik, Alter, Umwelt und Lebensstil können neurologische Erkrankungen entstehen. Verbindungen zwischen den Nervenzellen verändern sich oder sterben ab, was zu Symptomen wie Lähmungen, Zittern oder Gedächtnisverlust führen kann.
Ein Beispiel dafür ist Parkinson, bei dem bestimmte Nervenzellen im Gehirn absterben und Dopamin, ein wichtiger Neurotransmitter, nicht mehr ausreichend produziert wird. Auch Schlaganfälle können durch einen plötzlichen Ausfall der Blutzufuhr im Gehirn entstehen und schwere Schäden verursachen.
2. Wie kann Physiotherapie helfen?
Die Diagnose einer neurologischen Erkrankung kann das Leben auf den Kopf stellen. Plötzlich sind alltägliche Aufgaben eine Herausforderung und Bewegungen, die einst selbstverständlich waren, können schwierig oder unmöglich sein. Aber es gibt Hoffnung. Physiotherapie hilft dabei, die Symptome zu lindern und die Beweglichkeit zu verbessern.
Durch spezielle Übungen und Techniken können physiotherapeutische Maßnahmen dazu beitragen, die Mobilität, Kraft und Koordination der Patienten zu verbessern und gleichzeitig Schmerzen und Steifheit zu reduzieren. Die Behandlung kann auch dazu beitragen, das Gleichgewicht und die Stabilität zu verbessern und das Risiko von Stürzen zu verringern.
Welche Arten von Physiotherapie werden bei neurologischen Erkrankungen eingesetzt?
Es gibt verschiedene Arten von Physiotherapie, die bei neurologischen Erkrankungen eingesetzt werden können. Einige der häufigsten sind:
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Bobath-Therapie: Die Bobath-Therapie ist eine spezielle Form der Physiotherapie, die sich auf die Behandlung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen konzentriert. Ziel der Therapie ist es, das Gleichgewicht, die Bewegung und die Koordination zu verbessern.
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Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF): PNF ist eine Technik, die auf der Stimulierung der Muskeln und Nerven durch spezielle Übungen und Bewegungen basiert. Die Technik kann zur Verbesserung der Bewegungskontrolle und des Gleichgewichts bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson oder Multipler Sklerose eingesetzt werden.
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Funktionelle Elektrostimulation (FES): Bei der FES wird eine elektrische Stimulation verwendet, um Muskelkontraktionen zu erzeugen und Bewegungen zu unterstützen. Die Technik kann zur Wiederherstellung der Muskelstärke und zur Verbesserung der Beweglichkeit bei Patienten mit Lähmungen und anderen neurologischen Erkrankungen eingesetzt werden.
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Sensorische Integrationstherapie: Bei der Sensorischen Integrationstherapie geht es darum, die Verarbeitung von sensorischen Informationen im Gehirn zu verbessern. Die Therapie kann dazu beitragen, die Koordination und das Gleichgewicht bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen zu verbessern.
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Ganganalyse und -training: Die Ganganalyse und -training ist eine Technik, bei der das Gehen von Patienten mit neurologischen Erkrankungen analysiert und verbessert wird. Ziel ist es, eine bessere Balance und Koordination sowie eine höhere Laufgeschwindigkeit und -effizienz zu erreichen.
3. Die neuesten Forschungsergebnisse
Die Therapie von neurologischen Erkrankungen durch Physiotherapie wird aktuell intensiv untersucht. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen vielversprechende Effekte, die darauf hindeuten, dass Physiotherapie eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit neurologischen Erkrankungen einnehmen kann.
Konkret zeigt sich, dass Physiotherapie bei Krankheitsbildern wie Schlaganfall, Parkinson-Krankheit und Multipler Sklerose signifikante Verbesserungen in Bezug auf körperliche Funktion erzielt. Hierbei kommen verschiedene Methoden zum Einsatz, wie zum Beispiel Bewegungsübungen, die Muskelkraft und Gleichgewicht verbessern, sowie spezifische Übungen, die Mobilität und Koordination fördern.
Des Weiteren hat sich gezeigt, dass Technologien wie Robotik und virtuelle Realität einen positiven Einfluss auf die Wirksamkeit von Physiotherapie haben können.
Einige interessante Studien haben wir hier für Sie zusammengefasst:
Parkinson-Krankheit
Eine systematische Überprüfung und Meta-Analyse von Mehrholz et al. aus dem Jahr 2018 untersuchte die Wirksamkeit von Physiotherapie bei Patienten mit Parkinson-Krankheit. Die Forscher analysierten insgesamt 47 randomisierte kontrollierte Studien mit mehr als 3000 Teilnehmern. Sie fanden heraus, dass Physiotherapie signifikante Verbesserungen in Bezug auf Mobilität, Gleichgewicht, Gang und Lebensqualität bei Parkinson-Patienten bewirken kann. Insbesondere konnten durch die Physiotherapie eine bessere Gehgeschwindigkeit und eine längere Gehstrecke erreicht werden. Zudem verbesserte sich die Balance und die Sturzgefahr wurde reduziert. Die Ergebnisse der Meta-Analyse zeigten auch, dass die Wirksamkeit der Physiotherapie umso größer war, je länger und intensiver die Behandlung durchgeführt wurde.
Multiple Sklerose
2021 führte ein Forscherteam der Universität zu Köln eine Studie durch, welche die Wirksamkeit von Physiotherapie bei Patienten mit Multipler Sklerose untersuchte. Die Patienten führten die Übungen durch, die speziell auf ihre individuellen körperlichen Einschränkungen abgestimmt waren. Dazu gehörten beispielsweise Kraftübungen für die Beine, Gleichgewichtsübungen und Koordinationsübungen. Nach acht Wochen Training zeigten die Patienten signifikante Verbesserungen in ihrer Gehfähigkeit und Lebensqualität.
Die Studie bestätigt damit die Bedeutung einer individuell angepassten Physiotherapie für Patienten mit Multipler Sklerose und zeigt auf, dass durch gezielte Übungen eine Verbesserung der körperlichen Funktionen und der Lebensqualität erreicht werden kann.
Schlaganfall
Eine Studie wurde im Journal of NeuroEngineering and Rehabilitation veröffentlicht und untersuchte den Einsatz eines robotergesteuerten Exoskeletts in Kombination mit virtueller Realität zur Behandlung von Schlaganfallpatienten. Die Studie umfasste 60 Teilnehmer, die randomisiert entweder die robotergesteuerte Exoskelett-Gruppe oder eine Kontrollgruppe erhielten, die eine Standardrehabilitation erhielten.
Die Teilnehmer der robotergesteuerten Exoskelett-Gruppe wurden einer sechswöchigen Rehabilitation unterzogen, bei der sie spezifische Bewegungsübungen ausführten, die durch das Exoskelett unterstützt wurden, während sie gleichzeitig eine virtuelle Realitätsumgebung erkundeten. Die Kontrollgruppe erhielt die Standardrehabilitation ohne den Einsatz von Robotik und virtueller Realität.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer der robotergesteuerten Exoskelett-Gruppe signifikant verbesserte motorische Funktionen und Gehfähigkeit aufwiesen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Damit deutet die Studie darauf hin, dass die Kombination aus Robotik und virtueller Realität eine vielversprechende Methode für die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten sein kann.
Epilepsie
Es gibt bisher nur begrenzte Forschungsergebnisse zur Anwendung von Robotik und virtueller Realität zur Behandlung von Epilepsie. Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2021 untersuchte jedoch die Anwendung von virtueller Realität als Ergänzung zur Standardbehandlung von Epilepsie und fand vielversprechende Ergebnisse.
Die Studie identifizierte acht randomisierte kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit von virtueller Realität bei der Behandlung von Epilepsie untersuchten. Insgesamt zeigten diese Studien, dass die Anwendung von virtueller Realität als Ergänzung zur Standardbehandlung von Epilepsie zu einer signifikanten Reduktion der Anfallshäufigkeit und der Intensität führen kann.
Einige der untersuchten virtuellen Realitätstechnologien waren zum Beispiel immersive virtuelle Umgebungen, die darauf abzielen, Stress und Angst zu reduzieren, sowie interaktive Spiele und Simulationen, die zur Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten eingesetzt wurden.
Obwohl weitere Forschung in diesem Bereich erforderlich ist, zeigen diese Ergebnisse, dass virtuelle Realität als Ergänzung zur Standardbehandlung von Epilepsie ein vielversprechender Ansatz sein könnte.
4. Herausforderungen und Grenzen
Wie Sie sehen können: Die Physiotherapie ist ein wichtiges Werkzeug bei der Behandlung neurologischer Erkrankungen. Doch die Wissenschaft ist noch lange nicht am Ende des Themas angelangt.
Für diesen Beitrag haben wir uns mit dem Leipziger Neurologen Jens Schäfer zusammengesetzt, der selbst Forschung im Bereich der Wirksamkeit von Physiotherapie betreibt. In einem Interview teilt er nun sein Wissen mit uns.
Herr Schäfer, warum denken Sie, gibt es teilweise nur wenige Studien, die die Wirksamkeit von Physiotherapie bei neurologischen Erkrankungen untersuchen?
Jens Schäfer: „Die Wirksamkeit der Physiotherapie bei neurologischen Erkrankungen ist noch nicht ausreichend erforscht. Eine mögliche Ursache dafür könnte sein, dass solche Studien oft sehr aufwändig und kostenintensiv sind und daher nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Auch die Schwierigkeit, geeignete Patienten für Studien zu rekrutieren, kann eine Rolle spielen. Zudem ist es oft schwierig, standardisierte Messmethoden zu entwickeln, die objektiv die Fortschritte der Patienten erfassen.“
Wie können Physiotherapeuten die Forschungsergebnisse nutzen und umsetzen?
Jens Schäfer: „Durch die individuelle Anpassung der Therapiepläne können Physiotherapeuten spezifische Übungen und Bewegungen empfehlen, die auf die spezifischen Defizite und Einschränkungen des Patienten abgestimmt sind. Auch ist es empfehlenswert, sich mit den neuesten Technologien auseinanderzusetzen. Roboter und Exoskelette sind eine wertvolle Ergänzung für die Praxis und können die Patienten bei ihrer motorischen Rehabilitation unterstützen.“
Würden Sie auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit empfehlen?
Jens Schäfer: „Auf jeden Fall! Ich selbst arbeite mit Physiotherapeuten zusammen, doch auch Ergo- und Sprachtherapeuten können die Behandlung unterstützen. Indem Physiotherapeuten mit anderen Fachkräften zusammenarbeiten, wird sichergestellt, dass der Patient bestmöglich versorgt und ganzheitlich behandelt wird.“
Wo liegen die Grenzen der Physiotherapie?
Jens Schäfer: „Die Physiotherapie spielt eine wichtige Rolle bei der Behandlung neurologischer Erkrankungen und ist oft sehr hilfreich. Allerdings gibt es auch Grenzen, die beachtet werden müssen. In Fällen von schweren neurologischen Erkrankungen, wie beispielsweise bei fortgeschrittenen Stadien von Multipler Sklerose oder schweren Schädel-Hirn-Traumata, kann die Physiotherapie möglicherweise nicht ausreichen, um den Patienten ausreichend zu unterstützen. Auch wenn die Schädigung sehr stark ausgeprägt ist und das betroffene Gehirnareal irreversibel geschädigt ist, kann Physiotherapie nur bedingt helfen. Daher ist Physiotherapie allein kein passender Behandlungsansatz und sollte stattdessen als wertvolle Ergänzung in Betracht gezogen werden.“
Fazit
Die Wirkung von Physiotherapie bei der Behandlung von neurologischen Erkrankungen ist ein breites Feld, welches immer noch viele Fragen aufwirft. Doch bereits durchgeführte Studien versprechen einen positiven Ausblick in die Zukunft.
Als Physiotherapeut haben Sie viele Möglichkeiten, die neuesten Forschungsergebnisse zu nutzen, um Ihre Patienten auch in Ihrer Praxis zu unterstützen. Seien es spezielle Übungen, Robotik oder virtuelle Realität. Durch die Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der Neurologie, Ergotherapie und Sprachtherapie können sich neue Wege erschließen, um die Symptome von Multipler Sklerose, Parkinson und Co. zu lindern.
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